Es bleibt ein Wagnis


Wort zum Osterfest, 31.03./01.04.2024

von Pröpstin Wiebke Vielhauer, Ev.-luth. Kirchenkreis Uelzen
Wiebke Vielhauer (Foto: Neff)

Endlich war es so weit. Sein 8. Geburtstag. Heute würde er es endlich wagen. Solange hatte er sich darauf gefreut. Jörn, sein großer Bruder, hatte sich immer lustig gemacht. „Du bist noch zu klein, Lasse, das ist erst ab 8.“ Aber jetzt durfte er. Mama hatte es eben selbst noch einmal gesagt: „Wenn du willst, darfst du mit Jörn rutschen gehen. Ich warte hier unten auf dich. Und wenn du ankommst, fang ich dich auf.“ Und dann hatte sie wieder dieses Blitzen in den Augen gehabt, das sie immer hatte, wenn sie ihn anlachte.

Jetzt stiegen sie gemeinsam die tropfnasse Treppe hinauf. Zu den Rutschen. Hunderte Male hatte sich sein großer Bruder schon auf die rasante Fahrt durch die Steilrutsche gemacht. Lasse hatte unten gewartet. Jedes Mal hatte ein Wasserschwall seinen Bruder angekündigt. Und mit Juchzen und Johlen war Jörn ins Becken gefallen. „Das so mega, Lasse. Schade, dass du das noch nicht darfst.“ Und gegrinst hatte er.

Schon waren sie oben angekommen. Hoffentlich bemerkte Jörn nicht das Wackeln an den Beinen seiner Badehose. „Menno, jetzt wollte ich das die ganze Zeit. Und nun ist mir doch komisch in den Knien. Aber jetzt spring ich da auch rein.“

Gemischte Gefühle. Wer kennt das nicht. Da ist die Freude über das, was geschieht. Und zugleich eine gewisse Unsicherheit, ob man dem, was passiert, wirklich trauen kann.

Gemischte Gefühle. Die haben auch die beiden Marias im Gepäck. Als sie sich an diesem Ostermorgen auf den Weg zu den Jüngern machen. Die Freude ist groß! Einen Engel hatten sie gesehen. Freundlich hatte er mit ihnen geredet: „Freut euch! Jesus ist auferstanden. Und sagt auch seinen anderen Jüngern: Ihr sollt nach Galiläa gehen. Dort werdet ihr ihn finden. Freut euch – und fürchtet euch nicht!“

Aber genau da liegt das Problem. Die beiden Frauen schauen einander an: Kann man diesem Engel, kann man seinen Worten trauen? Oder bilden wir uns das nur ein? Wenn das stimmt, was er sagt: Wie herrlich! Wie wunderbar! Aber geht denn das? – Freude und Frucht, Furcht und Freude. Und ganz viele Fragen.

Jörn grinst: „Hey, Lasse, du zitterst ja? Schiss?“ Dann dreht er sich um. Er springt ab. Und mit einem lauten „JA!“ ist er in der Tiefe der Röhre verschwunden. – Lasse beißt sich auf die Lippe. Jetzt wieder runtergehen – das geht gar nicht. „Mann, so lange habe ich mich darauf gefreut.“ Er atmet noch einmal tief aus. Dann steigt er in die Startposition. Die Ampelleuchte wird grün. Und dann geht es ab.

Für die Marias ist es auch Zeit, sich auf den Weg zu machen. Freude oder Frucht, Furcht oder Freude. – Fragen hin oder her. Sie haben einen Auftrag. Sie sollen den anderen erzählen, was sie gehört haben. Also gehen sie los. Nein, sie gehen nicht, sie laufen. Sie eilen. Bis plötzlich … einer vor ihnen steht. Fast hätten sie ihn umgerannt. „Seid gegrüßt!“ Seine Worte sind es, die sie aufhorchen lassen. „Seid gegrüßt!“ Ganz so, wie immer. Ganz so wie am See – oder im Tor – oder am Abend beim Essen. „Seid gegrüßt! Fürchtet euch nicht!“ Und plötzlich fällt die Sorge ab. Und plötzlich können sie ihr Glück umschlingen. Könnens fassen. Und wenn auch nur um die Füße. Der Stein ist nicht nur vor dem Felsengrab weggerollt, sondern auch von ihren Herzen. Und in all dem geht die Sonne auf. Und aus dem Dunkel der Nacht erwacht ein neuer Tag.

Maria von Magdala und die andere Maria. Manchmal habe ich sie darum beneidet, dass sie Jesus umschlingen dürfen. Dass sie so klar und deutlich hören, sehen, fühlen, erfahren: Ja, es stimmt: Gott schenkt immer wieder einen neuen Anfang. Selbst aus der finstersten Finsternis. Selbst aus dem Tod.

Und dann wieder bin ich mir gar nicht sicher, ob mich dieses „selber sehen“ so viel sicherer machen würde.

Ostern ist und bleibt unfassbar. Denn Ostern weist über unser Leben hinaus. Ostern weist hinaus über das, was wir in der Hand haben. Oder was wir festhalten oder gar selber machen könnten. Ostern ist ein Geschenk. Das Geschenk eines neuen Anfangs Und gerade deshalb ist es etwas, an das ich glauben, auf das ich hoffen kann. Weil Gott selbst es uns zuspricht: „Fürchtet euch nicht! Ich bin da. Und ich bleibe bei euch. Was euch auch begegnen mag. Welche Wege das Leben euch führt. Ich bin da.“

Ostern ist und bleibt ein Wagnis. Gerade so wie das Leben selbst. Gerade so wie der Tod. Oder der neue Morgen. Gerade so, wie wenn man zum ersten Mal in die Steilrutsche springt. Noch kennt man die Biegungen und Wendungen nicht, die da auf einen warten. Und mag sein, dass man ganz schön durchgeschüttelt wird.

Aber Ostern kann ich wagen. Denn ich weiß: Am Ende der Rutsche wartet eine auf mich, die Arme weit offen. Eine – vielleicht auch einer? – der mich auffängt. Der bei mir bleibt. Selbst dann, wenn ich ihn beim Losrutschen noch nicht sehen kann.

In diesen Armen geborgen sein – im Tod und auch im Leben – das ist Ostern.

Pröpstin Wiebke Vielhauer

Am Ostermorgen

Als der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.

Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.

Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen. (Matthäus 28,1-10)