Warum ist es so schwer, die Überzeugungen anderer Menschen stehen zu lassen? - In den wenigen Wochen vor der Bundestagswahl prallen die Überzeugungen unversöhnlicher aufeinander als sonst. Man gönnt sich gegenseitig nichts. Einer anderen Partei zuzugestehen, etwas Richtiges zu vertreten oder sich um das gemeinsame Gute zu bemühen, das ist kaum zu erleben. Darin spiegelt sich eine Gesellschaft, die verunsichert auf die Probleme unserer Zeit reagiert. Verhärtet, zugespitzter, radikaler stoßen die Ansichten aufeinander.
Was oft fehlt, sind Verständnis, Einfühlungsvermögen und vor allem Gelassenheit, um das Gemeinsame zu sehen, z. B. wie sehr das Grundgesetz dieser Gesellschaft eine gute und beispielhafte Grundlage gibt.
Religionen haben in Jahrhunderten viele schreckliche Beispiele geliefert, wohin solche Verhärtungen führen. Dabei tragen sie Gegenmittel meist in sich, die übersehen werden. Im Neuen Testament könnte man z. B. darauf schauen, wie sich der Apostel Paulus in Konflikten verhält:
„So haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm; und einen Herrn, Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn.“ (1 Korinther 8, 6)
Wie kann ausgerechnet ein Satz mit einem solchen Wahrheitsanspruch helfen, andere Überzeugungen in ihrer Berechtigung zu akzeptieren? - Indem man diesen Satz ernst nimmt. Wenn von Gott alle Dinge sind, braucht man keine Angst vor fremden Überzeugungen zu haben. Man muss darum noch lange nicht alles für richtig halten. Aber man kann auf Augenhöhe und in Ruhe miteinander ins Gespräch kommen. Vielleicht kann mir mein eigener Gott sogar einmal etwas Richtiges durch jemanden mitteilen, dessen Glaube ich vollkommen falsch finde. Das setzt eine Haltung voraus, in der ich auch meiner eigenen Auffassung gelassen gegenübertrete. In den Worten des Paulus: „Wenn jemand meint, er habe etwas erkannt, der hat noch nicht erkannt, wie man erkennen soll. Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt.“ (1 Korinther 8, 2f.)
Liebe zur gemeinsamen Sache hat die Kraft, Verhärtungen aufzuweichen. Darum geht es jetzt, was der Wochenspruch empfiehlt: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht.“ (Hebräer 2, 15)
Pastor Martin Hinrichs,
Ev.-reformierte Kirchengemeinde Lüneburg-Uelzen